top of page
  • AutorenbildDipl. oec. Traute Kaufmann

Die Schweiz ist Vorreiter bei Insekten in Lebensmitteln, Ungarn und Katar wollen kein Ungeziefermehl im Essen

Aktualisiert: 5. Sept.

Die Eidgenossen sind der EU weit voraus

von Dipl.oec. Traute Kaufmann am 10. Juli 2023

Insektenmehl

Wer hätte das gedacht? Nicht etwa die EU-Kommission, sondern ein Schweizer Unternehmen hat die Rolle des Pioniers für Insekten in Lebensmitteln in Europa inne. Das Zürcher Unternehmen Essento sagt über sich selbst, dass es die Gesetzesänderung in der Schweiz initiiert habe, damit Insekten als Lebensmittel zugelassen werden (1). Insekten gelten in der Schweizer Futtermittelgesetzgebung heute als Nutztiere. So dürfen der Mehlwurm im Larvenstadium (Tenebrio molitor), die adulte Grille (Acheta domesticus) und die europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) "[...] zum menschlichen Verzehr, als ganze Tiere, zerkleinert oder gemahlen, in Verkehr gebracht werden" (2). Seit Jänner 2023 ist auch das teilweise entfettete Pulver der Hausgrille als neuartiges Lebensmittel genehmigt und darf bei der Herstellung von Mehrkornbrötchen, Getreideriegeln, Keksen, Saucen, Nudeln, Pizzen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Suppen, Schokolade und (veganen) Fleischzubereitungen beigemischt werden (3; sehe auch die Verordnung (EU) 2017/2470)).


EU-verkehrsfähige Insekten sind in der Schweiz genehmigungsfrei

Der Schweizer Markt ist für in der EU als Novel Food genehmigte Lebensmittel mit Insektenbestandteilen offen. Estelle Hain vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit informiert: "Da das Inverkehrbringen von teilentfettetem Hausgrillen-Pulver in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr zugelassen ist, ist es das automatisch auch in der Schweiz". Vice versa gilt das jedoch nicht. Wieder informiert das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen die Bürger: "Alle neuartigen Lebensmittel, die in der EU gemäss Unionsliste verkehrsfähig sind, können in der Schweiz ohne Bewilligung in Verkehr gebracht werden, sofern sie alle Vorschriften gemäss den einzelnen Durchführungsbeschlüssen und Meldungen einhalten. Die Umkehrfolgerung gilt aber nicht: Lebensmittel, welche in der Schweiz keine neuartigen Lebensmittel sind oder in der Schweiz als solche bewilligt wurden und in der EU als Novel Food gelten, benötigen für das Inverkehrbringen in der EU eine Zulassung durch die Europäische Kommission" (4). Angesichts der Erfahrungen aus dem BSE-Skandal im Jahr 2000 (siehe unten) steht hier grundsätzlich die Frage im Raum, ob es opportun erscheint, sich bei der Verwendung von Insekten und insbesondere von teilweise entfettetem Pulver der Hausgrille in Lebensmitteln auf die Entscheidungen in Brüssel zu stützen.


Immer mehr Länder wehren sich gegen Insekten in Lebensmitteln

Inzwischen entwickelt, produziert und vermarktet das Schweizer Unternehmen Essento Insekten für den Handel und die Gastronomie im gesamten europäischen Markt (1). Während das Unternehmen nach eigenen Worten "[...] Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung [...]“ leisten und "[...] die Food Revolution vorwärts treiben [...] “ sowie die Ernährung mit Insekten in „[...] Europa salonfähig machen [...]“ will (1), wehren sich immer mehr Länder gegen diese Absichten. So äußerte Ungarns Landwirtschaftsminister István Nagy jüngst zu Insekten in Lebensmitteln: „Dank des Fleißes und der Beharrlichkeit der ungarischen Landwirte verfügen wir über eine Fülle hochwertiger Rohstoffe, frischer, gesunder und qualitativ hochwertiger Lebensmittel, so dass wir keine Abfälle essen müssen.“ Auch muss insektenhaltige Nahrung in Ungarn in separaten Verkaufsregalen platziert werden (5). Katar hat die Beimischung von Insekten in Lebensmitteln unlängst verboten. Das Ministerium für öffentliche Gesundheit veröffentlicht dazu folgende Stellungnahme: „Unter Bezugnahme auf die kursierenden Berichte über die Entscheidung einiger Länder, die Verwendung von Insekten in der Lebensmittelproduktion zu genehmigen, betont das Ministerium für öffentliche Gesundheit, dass es Lebensmittelprodukte, die Insekten enthalten, auf den Märkten verbietet, da sie die Anforderungen der technischen Halal-Vorschriften für Lebensmittel nicht erfüllen“ (5).


Vom Startup zum zukünftig politisch-gewollten Substitut für Weizenmehl?

Gegenwärtig sind Insekten in Lebensmitteln noch ein Nischenmarkt, entsprechend gestalten sich die Preise für Insektenmehl noch nicht konkurrenzfähig zum Getreidemehl. Beschwichtigende Stimmen verwenden das gerne als Argument, um die Gefahr einer zukünftig politisch gewollten und daher gesetzlich verordneten vermehrten Substitution von Getreidemehl durch Insektenpulver abzuweisen. Derzeit ist die Beimischung von 5 gr Insektenmehl pro pro 100 gr Fleisch erlaubt. Kritische Stimmen mögen in der Zulassung von Insekten als neue Lebensmittel eine Brüsseler Tandemstrategie sehen, welche mit der Pflicht der Stilllegung von 4% der Agrarflächen ab 2023 möglicherweise nicht ganz zufällig korrespondiert. Sollen die damit verursachten Nahrungsmittelausfälle (Weizenmehl, Rinder- und Schweinefleisch, etc.) durch das neue Lebensmittel „Insekt“ substituiert werden? In Europa gibt es mittlerweile einige Insektenfarmen, die das Zielsegment "Nahrungsmittel für Menschen" anvisieren und Insektenpulver als „This is the Future“ (6) propagieren. Wenn das Essen von Insekten zur politisch-gewollten Gewohnheit in der EU-Bevölkerung werden soll, werden mit Sicherheit auch bald die Nahrungsmittel-Multis wie Nestlé et al in das Geschäft mit den Insekten einsteigen und entsprechende Investitionen tätigen, so dass Insektenmehl in Zukunft günstiger sein wird als Weizenmehl. Genau dann stellt sich die Frage, inwiefern es noch zu verhindern sein wird, dass Insektenmehl als Standardzutat im Brot, in Backwaren, Cerealien und Co. verwendet werden wird.


Etliche Studien warnen vor dem Verzehr von Insekten

Dabei gibt es gute Gründe, das zu verhindern. So wurde laut der von fünf Wissenschaftlern in Frontiers in Microbiology veröffentlichten Studie aus 2016 Chitin im Hirngewebe von Alzheimer-Patienten gefunden (7). Eine weitere Studie aus dem Jahr 2018 weist darauf hin, dass die Wechselwirkungen zwischen dem im Exoskelett der Insekten vorhandene Chitin und dem Immunsystem noch gar nicht vollständig verstanden sind (8). Darüber hinaus können sich in den Fettkörpern der fettreichen Insektenlarven Schadstoffe wie Cadmium anreichern, das zu Nieren- oder Knochenschäden führen und Allergien bis zum anaphylaktischen Schock auslösen können.


BSE: Tiermehl ist aus gutem Grund für Wiederkäuer bisher verboten

Im Jahr 2000 brach die Seuche BSE (Boviner spongiformer Enzephalopathie) in Europa aus. Der das Gehirn befallende Rinderwahn übertrug sich nachweislich als Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf den Menschen. Vermutet wird, dass die schwammartige Hirnerkrankung durch das Verfüttern von Schafen, die an der Scrapie gestorben waren, auf die Rinder übertragen wurde. Anstatt die Tierkadaver zu entsorgen, wurden diese als billiger Rohstoff von der englischen Futtermittelindustrie verarbeitet und an Rinder verfüttert. Nach den ersten Ausbrüchen wurde die Verfütterung von Tiermehl in England verboten. Derweil wurden die Reste tonnenweise auf das europäische Festland transportiert. Die Gesundheits- und Landwirtschaftsminister der EU-Mitglieder machten damals die EU für den Missstand verantwortlich (9). Seit diesem Skandal dürfen laut dem Deutschen Verband für Tiernahrung e.V. keine tierischen Eiweiße mehr an Wiederkäuer verfüttert werden. Damit kommt Insektenmehl für den Einsatz als Rinderfutter nicht in Frage, da das Insektenprotein rechtlich der Gruppe der tierischen Eiweiße zugeordnet wird (10).


Wer angesichts der beschriebenen Hintergründe lieber Vorsicht walten lassen will, dem hilft diese App beim Einkaufen von Lebensmitteln und Futtermitteln für Hunde und Katzen:


Die App liest den EAN-Code oder die Zutatenliste aus und zeigt unerwünschte Insektenzutaten zuverlässig auf. Und natürlich funktioniert die App auch zur Überprüfung von Hunde- und Katzenfutter auf unerwünschte Insektenbeigaben von Hausgrille, Mehlkäfer, Heuschrecke und Buffalowurm.


Die App InsectInspect.app / InsekteninLebensmiteln.com kann die Zutatenliste auslesen und bietet daher höchste Trefferquoten

Anders als vergleichbare Apps, kann Insect Inspect.app die Zutatenliste auslesen und ist daher unabhängig von der Funktionsfähigleit des EAN-Codes. Das ist wichtig, weil sehr viele EAN-Codes nicht in den offiziellen Datenbanken wie bspw. die Open Food Fact hinterlegt sind. Hier greifen vergleichbare Apps ins Leere und zeigen oft ein Fragezeichen an, weil sie die Zutaten nicht auslesen können. Insect Inspect.app lässt sie hier nicht im Stich, was besonders bei regional angebotenen Lebensmitteln wichtig ist, da diese in der Regel nicht in offiziellen Datenbanken hinterlegt sind. Die App ist sowohl als iOS, als auch für Androids erhältlich.


Quellen:

(1) Essento (o.D.). Essento – der Insektenpionier in Europa. Abgerufen von https://essento.ch/ueber-uns/ am 10.07.2023.

(2) Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen – BLV (06.04.2017). Informationsschreiben 2017/1: Produktion und Verarbeitung von Insekten zur Verwendung als Lebensmittel. S. 3.

(3) Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (27.01.23). Insekten als Lebensmittel. Abgerufen von https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/lebensmittelsicherheit/einzelne-lebensmittel/insekten.html am 10.07.2023.

(4) Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (14.06.2023). Bewilligung von neuartigen Lebensmitteln. Abgerufen von https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/rechts-und-vollzugsgrundlagen/bewilligung-und-meldung/bewilligung.html am 10.07.2023.

(5) Schmidt, J. (12.02.2023). Insekten in Lebensmitteln: Innerhalb und außerhalb der EU formiert sich Widerstand. Deutsche Wirtschaftsnachrichten. Abgerufen von https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/702223/Insekten-in-Lebensmitteln-In-und-ausserhalb-der-EU-formiert-sich-Widerstand am 10.07.2023.

(7) Pisa, D., Alonso, R., Rábano, A., Horst, M.N., Carrasco, L. (07.11.2016). Fungal Enolase, β-Tubulin, and Chitin Are Detected in Brain Tissue from Alzheimer’s Disease Patients. Frontiers in Microbiology. Abgerufen von https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmicb.2016.01772/full am 10.07.2023.

(8) Ali Komi, D.E., Lokesh S, Dela Cruz, C.S. (01.04.2018). Chitin and Its Effects on Inflammatory and Immune Responses. HHS Public Eccess. Abgerufen von https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5680136/pdf/nihms912752.pdf am 10.07.2023.

(9) Heed, L. (24.11.2020). BSE-Krise im Jahr 2000: Die BSE-Krise erreicht Deutschland. NDR.de. Abgerufen von https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/BSE-Krise-im-Jahr-2000-Die-Rinderseuche-erreicht-Deutschland-,bse102.html am 10.07.2023.

(10) Deutscher Verband für Tiernahrung e.V., Abgerufen von https://www.dvtiernahrung.de/aktuelles/themen-positionen/tierische-eiweisse Deutscher Verband Tiernahrung e.V. am 10.07.2023.

(11) Schweizer Symbol von Fil-Magic auf Pixabay.

(12) Insektenfabrik Lizenz erworben von Yulia Adobe Stock..



1 Kommentar

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
Sirius
Sirius
10. Juli 2023

Wer hätte das gedacht, ausgerechnet die Schweiz macht da nicht nur mit, sondern ist auch noch federführend mit der Fahne schwenkend vorangeschritten...

Gefällt mir
bottom of page